Stadtretter-Podcast #27

“Barrierefreiheit in der Stadt: Was wirklich fehlt”

Folge #27 ganz neu für euch!

In Folge #27 sprechen wir mit der Expertin Ulrike Haase-Mülleneisen über die Wichtigkeit der Barrierefreiheit in Innenstädten und zwar weit über die Perspektive von Rollstuhlfahrern hinaus. Ulrike zeigt uns, wie wichtig schnelle, pragmatische Lösungen sind, von abgesenkten Bordsteinen bis zu klaren Kontrasten in der Stadtgestaltung.

Wir sprechen über die oft unterschätzten Herausforderungen durch temporäre Hindernisse, die Nutzung öffentlicher Räume, fehlende Barrierefreiheit bei Veranstaltungen und die täglichen Hürden beim Einkaufen. Ulrike macht deutlich, wie entscheidend es ist, Expert:innen einzubeziehen, flexible Lösungen – etwa bei Parkplätzen – zu entwickeln und alle Beteiligten für das Thema zu sensibilisieren.

Besonders eindrücklich war der Appell, mehr zu qualifizieren, zu informieren und das Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen. Diese Folge öffnet Augen, regt zum Nachdenken an und zeigt, wie viel wir alle dazu beitragen können, unsere Städte wirklich für alle zugänglich zu machen.

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Intro: Die Stadtretter – Der Podcast

  • Frank Rehme: Wir haben wieder eine neue Folge unseres Stadtretter-Podcasts. Heute zu einem wirklich sehr, sehr spannenden Thema, finde ich. Denn das ist etwas, was die ganze Gesellschaft betrifft – das Thema Barrierefreiheit. Aber bevor wir damit anfangen, ich stelle mich mal kurz vor, ich bin der Frank Rehme. Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Handel und Stadtentwicklung und bin seit Beginn an hier der Co-Host dieses Podcasts – zusammen mit Stefan Müller-Schleipen. Und deshalb gebe ich auch gleich rüber zu dir, Stefan. Ein paar Worte zu dir, für die dich da noch nicht kennen – die zwei, drei in ganz Deutschland. Du kannst ja mal eine Aufklärung leisten.Stefan Müller-Schleipen: Ich bin Stefan, ich bin Gründer und Geschäftsführer der Stadtretter-Initiative, die mittlerweile auf über 1.400 Städte und Gemeinden gewachsen ist und sich digital, aber mittlerweile auch vermehrt wieder physisch austauscht, um voneinander zu lernen, Wissen zu transferieren und Projekte umzusetzen. Und ich freue mich ganz besonders heute, dass das Thema Wissenstransfer im Mittelpunkt steht, weil ich viel gelernt habe. Ich glaube, ich kann heute auch noch viel lernen und freue mich auf den Austausch.

    Frank Rehme: Genau, da reden wir gleich über unsere Gästin, nämlich die Ulrike Hase-Müllneisen aus Leverkusen – praktisch um die Ecke von mir. Und Ulrike, ein paar Worte zu dir.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, ich bin Ulrike, bin Landschaftsarchitektin und Sachverständige für barrierefreies Bauen und lebe in Leverkusen.

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    Frank Rehme: Top, Barrierefreiheit ist ein großes Thema, gerade auch in Innenstädten. Ich habe vor kurzem noch einen Innenstadt-Workshop moderiert und da war jemand von dem Behindertenbeirat dabei.Und er hatte mir Augen geöffnet in Bereichen, die ich noch nie vorher so auf dem Schirm hatte. Er hatte dann auch mal wunderbar gezeigt, was es bedeutet, wenn man als handicapped people durch die Stadt geht, an welchen Ecken man da manchmal vor irgendwelchen unlösbaren Aufgaben steht und unser Einer als Gesunder denkt an viele Dingen gar nicht. Und deshalb sind so Leute, die sich mit so Themen beschäftigen, ja unfassbar wichtig. Wie sieht dein tägliches Geschäft aus?

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, also ich schreibe hauptsächlich barrierefreie Gutachten, barrierefreie Konzepte, die in Nordrhein-Westfalen für die Abgabe des Bauantrags notwendig sind. Also daran seht ihr schon, dass es eben nicht in allen Bundesländern so ist. Und das heißt, ich werde von einem Architekten beauftragt, ein barrierefreies Konzept zu schreiben, was eben hauptsächlich für öffentliche Gebäude notwendig ist. Ich bekomme also die Pläne oder ich gucke mir das Gebäude an. Wirklich gut wäre es in einer frühen Leistungsphase, also Leistungsphase 2 oder 3, sodass ich eben auch noch eingreifen kann, wenn die Planung nicht stimmt. Und es ist eben nicht so, wie es so häufig heißt, Barrierefreiheit ist teuer.Das würde dann damit nämlich wegfallen.

    Frank Rehme: Ja, und da das Thema Barrierefreiheit zumindest mir bis vor Kurzem gar nicht so klar war, habe ich gedacht, wir laden uns mal jemanden ein, der sich damit auskennt. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn wir mit unserem Format Die Stadtretter kommen und durch eine Innenstadt laufen, dass viele Menschen Barrierefreiheit nur auf Rollstuhlfahrer oder bewegungseingeschränkte Menschen beschränken. Und auch ich habe gelernt, dass es noch eine viel breitere Palette gibt.

    Ulrike, du hast mir im Vorgespräch mal den Satz gesagt, ich möchte in Deutschland nicht blind sein, weil es da deiner Meinung nach, glaube ich, viel zu tun gibt.

    Ich glaube aber insgesamt sind unsere Innenstädte, ich sage es mal vorsichtig, verbesserungswürdig und kläre uns auf. Was kann man mit wenig Mitteln schnell ändern? Das würde mich interessieren. Wie gesagt, ich lerne jeden Tag dazu und freue mich über Expertise von deiner Seite.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, schnell ändern. Also was man auf jeden Fall auf dem Schirm haben sollte, sind abgesenkte Bordsteine. Also jede Einfahrt, die gebaut wird oder wenn ein Straßenübergang gebaut wird. Auf jeden Fall ein Nullschwellenabsenker für die mobil eingeschränkten Menschen und die andere Seite auf zwei Zentimeter Höhe für die Sehbehinderten. Weil die mit dem Stock gehen und die spüren die Kante und wissen, okay, jetzt bin ich über der Straße. Und das, was man auch ohne viel Geld machen kann, sind Kontraste. Also im Moment ist ja das Grau in Grau der Architektur super modern. Habt ihr wahrscheinlich auch schon gesehen, wenn ihr durch die Stadt lauft. Und das ist natürlich für den Sehbehinderten und für den Blinden tödlich. Also der Gehweg ist grau und der Papierkorb davor ebenfalls. Das sieht kein Mensch. Also das wäre eben ganz schnell einfach mal zu sagen: Okay, wir nehmen Farbe, wir machen es anders. Das gehört ja zur Stadtgestaltung. Aber wir kriegen auch ganz oft Zuschriften oder Bilder geschickt, wo temporäre Eingriffe, Baustellen, wie auch immer, komplett barrierebehindert gedacht sind. Da sind dann nur noch 80 Zentimeter breite Durchgänge. Es gibt keine temporären Absenkungen des Bürgersteigs, wenn da irgendwas aufgerissen ist und, und, und. Ich glaube, da ist noch so viel zu lernen und so viel zu tun, dass wir auf dieses Thema viel früher und auch viel intensiver Acht geben müssen. Das ist zumindest mein Eindruck, wenn ich so unterwegs bin und durch die Welt schaue.

    Frank Rehme: Das Grau in Grau – da sprichst du auch ein Thema an. Auch unsere Autos haben keine Farben – es ist ja alles nur noch weiß, silber oder schwarz. Und mit den Gebäuden, da hast du recht, wir kochen im Einheitsbrei und da müssen wir besser werden.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, und der Gehweg, der wird eben auch von ganz vielen Menschen genutzt. Du hast jetzt im Sommer die Straßencafés, du hast die Aufsteller, du hast eben die Stadtmöblierung mit Laternen, Papierkörben, Fahrrädern, Leihfahrrädern. Und dafür sind eigentlich in den meisten Städten die Bürgersteige nicht breit genug, sodass man sich einfach ins Gehege kommt. Es gibt ja auch keine Vorgaben, wo stelle ich ein Leihrad ab oder so ein E-Roller. Es sind keine Flächen eingezeichnet, sodass man nur drüber fallen kann, letztendlich. Also selbst uns passiert es ja so.

    Frank Rehme: Ja, ich bin ein E-Roller-Freund und finde, es ist eine schöne Form der Mobilität. Wenn du aber siehst, wo die Dinge alle rumliegen, ärgere ich mich schon als sehender Mensch. Und wenn ich überlege, ich wäre blind und müsste mir den Weg durch die ganzen Geschichten bahnen, ist es so gut wie unmöglich.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Also ich glaube, da steckt wirklich noch eine Menge Arbeit drin und da müssen wir ran.

    Frank Rehme: Ich sehe auch sehr stark: Wir haben jetzt Sommer in vielen Städten unfassbar viele Events. Wir waren ja zum Beispiel jetzt zusammen in Grevenbroich und wir wollten da noch ein spezielles Event unterbringen. Und in dem Eventkalender der Stadt ist eigentlich der Sommer schon komplett gefüllt. Also es sind verschiedene Events, die irgendwo stattfinden. In manchen Städten sind Feierabendmärkte, da Drödelmärkte oder irgendwelche anderen Stadtfeste.Da wird ja auch in den wenigsten Fällen an die eingeschränkten Menschen gedacht, oder? Weil da spielt das ja eher nur noch eine untergeordnete Rolle, oder?

    Ulrike Hase-Müllneisen: Genau, also die wenigsten Städte haben ein Veranstaltungsmanagement mit Personen, die darauf also wenigstens sensibilisiert sind, sagen wir mal. Aber ich habe noch kein Event gesehen, wo es ein barrierefreies, mobiles WC aufgestellt wird, wo auch der Zugang barrierefrei ist. Meistens finden ja diese Events auch auf Räumen statt, wo das Pflaster nicht barrierefrei ist oder es ist eine Wiese oder irgendetwas, das eben ein mobil eingeschränkter Mensch und auch ein Sehbehinderter gar nicht nutzen kann. Auch da fehlen wieder Kontraste. Und wenn wir jetzt noch weitergehen und nicht nur in die Gestaltungsebene betrachten, sondern uns jetzt noch überlegen, wie denn ein Sehbehinderter ein Ticket online buchen muss, dann wird es ja noch schwieriger.

    Frank Rehme: Wenn wir jetzt mal solche Events und Festivitäten in den Städten sehen: Du hast gerade nochmal gesagt, dass da wenig Leute bei sind, die letztendlich kundig sind in dieser ganzen Thematik. Was wäre denn so deine Forderung, was man da dementsprechend mit integrieren müsste? Gibt es da spezielle verantwortliche Stellen in der Stadt, die man dann grundsätzlich zubuchen müsste?

    Ulrike Hase-Müllneisen: Also die meisten Städte haben ja einen Behindertenbeirat oder einen Behindertenbeauftragten, die ja auch dann eine Fortbildung gemacht haben. Das heißt, die sollte man auf jeden Fall ins Boot holen. Und es gibt ja auch genug Checklisten von Veranstaltern, die man sich runterladen kann und wo du letztendlich einen Haken hintermachst, wenn du es berücksichtigt hast.

    Frank Rehme: Jetzt überlege ich gerade: Viele solcher Veranstaltungen sind ja abgesagt worden, weil einfach alleine schon die Sicherheitsvorkehrungen, die man jetzt treffen muss aufgrund der vielen Anschläge, schon sehr hoch sind. Kann es sein, dass man sich da ein bisschen zurückhält mit der Tauglichkeit für Behinderte, um einfach die Kosten nicht in die Höhe gehen zu lassen? Oder ist das generell für Veranstalter kostenfrei, wenn die Stadt ihren Behindertenbeauftragten da mitreinnimmt?

    Ulrike Hase-Müllneisen: Der Behindertenbeauftragte ist frei. In Großstädten sind die ja in der Regel Angestellte der Städte. Und in kleineren Kommunen und Gemeinden sind die ehrenamtlich tätig. Aber trotzdem sind die ja da und man kann die fragen.

    Frank Rehme: Worauf ich mit der Frage hinaus wollte, war eigentlich: Es gibt keine Entschuldigung mehr, jemanden nicht mit reinzunehmen, der sich mit dem Thema auskennt.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Genau. Es gibt überhaupt keine Entschuldigung.

    Frank Rehme: Ich glaube, der Punkt ist der, also ich bin ja sehr viel in Kommunen unterwegs und die Kolleginnen und Kollegen arbeiten ganz oft an der Kapazitätsgrenze in ganz vielen Bereichen. Und ich glaube, wir müssen versuchen, nicht immer nur auf die Politik und die Behindertenbeauftragten zu gucken, sondern versuchen, ein Konzept zu entwickeln, wie man sowas in der breiteren Öffentlichkeit trägt. Und zu sensibilisieren oder auch aus der Vereinswirtschaft oder aus der Privatwirtschaft Leute zu qualifizieren und zu sagen, ist ja ein tolles Event oder ein tolles Vorhaben, was ihr da habt, aber das ist nicht gegeben und das ist nicht gegeben…

    Und das Thema Checklisten, das wusste ich bis heute nicht, ich habe es gelernt.

    Ich würde mich auch freuen, wenn du uns ein paar Links im Nachhinein zur Verfügung stellst, die wir auf der Website posten können. Ich glaube, wie gesagt, wir brauchen die Tools. Die kriegen wir hoffentlich von dir, Ulrike. Und wir brauchen auch das Know-how und die Menschen, die diese Tools anwenden. Und es darf bitte nicht immer nur eine Weitergabe der Verantwortung auf die Kommunalverantwortlichen geben, sondern wir müssen das Thema breiter aufstellen. Ich glaube, wir machen uns mal ein paar Gedanken hier bei uns im Netzwerk, wie man Menschen für so eine Tätigkeit qualifiziert.

    Das ist wahrscheinlich kein Hexenwerk.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Nein, also das, was wichtig ist, ist wirklich so eine Sensibilisierung. Also wie viele Menschen sagen ja gar nicht, es kommt doch sowieso keiner oder es ist eben teuer oder, oder, oder. Und das ist es eben nicht, wenn man es mitdenkt.

    Frank Rehme: Ich habe jetzt noch mal eine Frage aus der Praxis – live erlebt. Wir waren in einem Leerstand. Direkt vor der Tür war ein Behindertenparkplatz oder sogar zwei. Und da hat den ganzen Tag kein Behinderter drauf geparkt. Da haben Leute drauf geparkt, die mal schnell zur Post gingen oder zum Bäcker. Das ist das übliche Übel. Aber jetzt ist mir dann Folgendes aufgefallen: Gegen Ende des Tages kam ein Mann mit dem Rollator rein mit seiner Ehefrau. Also der war gehbehindert. Und ich habe gefragt, warum sie denn zu unserer Sprechstunde gelaufen sind und nicht mit dem Auto direkt vor der Tür parken. Und dann hat er gesagt, er dürfte den Parkplatz nicht benutzen, weil er noch nur am Rollator läuft. Wenn er im Rollstuhl sitzen würde, wäre es was anderes. Sind wir da nicht auch viel zu unflexibel im Denken oder gibt es die Regelungen nicht dafür? Also ich hätte ihn sofort da parken lassen, aber er hat mir gesagt, nein, er darf da nicht parken. Und die sind mehrere hundert Meter mit dem Rollator angereist. Katastrophal.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Jaja, also es gibt ja das Versorgungswerk, wo man dann die Gehbehindertenausweise beantragen kann. Und dann gibt es ja verschiedene Standards, also wie viel Prozent man gehbehindert sein muss, um 50 Prozent oder 80 Prozent zu bekommen und ob man dann im Rollstuhl sitzt oder nicht. Und dann kriegt man ja erst so einen Ausweis, wo man dann auf so einem behinderten Parkplatz parken kann. Wenn man jetzt jedem Rollstuhl-Rollator-Gänger so einen Parkausweis geben würde – ich glaube, dann hätten wir wirklich nicht genug Behinderten-Parkplätze.

    Frank Rehme: Weil ich meine, es ist euch wahrscheinlich auch schon aufgefallen, wie viele Menschen am Rollator gehen.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, aber das Ergebnis gibt es nicht bei mir.

    Frank Rehme: Vielleicht müssen wir auch da neu denken. Und sowas ähnliches wie in der Straßenbahn haben. Im Ausland gibt es ja auch so Dinger: Bitte stellen Sie diesen Sitzplatz Menschen zur Verfügung, die diesen Sitzplatz nötiger haben als Sie. Vielleicht müssen wir auch die Straßenverkehrsordnung neu denken und von diesen harten Regularien weg und sagen: Das ist ein Parkplatz für die ältere Generation. Ich habe es noch nicht durchformuliert, ist mir gerade gekommen, die Idee. So ein Freundlichkeitsparkplatz, dass die Menschen, die gut zu Fuß sind, aber trotzdem fast immer bis in die Schule fahren, wenn sie ihre Kinder wegbringen, aus Respekt ein bisschen weiter weg parken. Vielleicht kann man da mal eine Idee draus machen.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, also ich weiß hier bei uns am Ort, da gibt es Behindertenparkplätze, die sind ab 20 Uhr frei für jedermann. Also die sind vor dem Rathaus, wo man dann sagt: Okay, dann sind die Dienstzeiten vorbei. Und wenn dann kein Behinderter in der Umgebung wohnt, dann kann die jedermann nutzen. Finde ich auch eine gute Möglichkeit.

    Frank Rehme: Also ich freue mich auf die Diskussion im Netzwerk, weil ich glaube, dieses Thema, wir werden das jetzt ein bisschen offensiver spielen, hat so viel Potenzial zu einer guten Weiterentwicklung. Wir müssen da ran, wir gehen da ran. Und wir haben ja auch mit dir vereinbart, dass wir dich mal mitnehmen und sagen: Guck mal, jetzt sind wir wirklich ein Profi in dem Thema.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, genau. Ja, freue ich mich drauf, wenn das irgendwann das erste Mal sein wird.

    Frank Rehme: Jetzt bist du ja sehr stark unterwegs, hast ja eingangs auch gesagt, dass du auch Gutachten machst für die Barrierefreiheit. Meine Güte, ich habe heute ein bisschen Sprachkaries. So, und jetzt gehen ja viele Besuchsanlässe, die man mit einem Besuch in der Stadt verbindet, ja auch mit dem Thema Handel und Einkaufen zusammen. Und wo sind denn aus deiner Sicht die größten Hürden, die Leute mit Einschränkung im Bereich des Einkaufens haben in der Innenstadt?

    Ulrike Hase-Müllneisen: Also in den Großstädten ist es weniger, weil da hätten wir die großen Kaufhäuser. Die sind ja alle ebenerdig. In den Vororten ist es schwieriger, vor allen Dingen, wenn es dann auch noch ein persönlicher, also personenbezogener Einzelhandel ist, ein Familienunternehmen oder so. Da sind häufig Stufen vor den Geschäften, sodass eben die wenigsten mobil eingeschränkten Menschen reinkommen können. Dann hilft man sich halt mit Klingeln, z.B. bei Apotheken, wo jemand dann rauskommt und das Rezept und dann die Ware wieder abgibt. Da geht das sicherlich, aber wenn man sich, ich sage mal, ein Kleidungsstück aussuchen will, dann ist sowas schwer möglich. Also das heißt, man muss, wenn es möglich ist, eine Rampe  nutzen – also wenn der Bürgersteig breit genug ist, eine bewegliche Rampe vorlegen oder eine andere Möglichkeit für den Hintereingang nuzen.

    Frank Rehme: Bei uns im Netz ist ja die Lego-Oma auch mit dabei und sehr aktiv, jetzt mal unter uns: Ist das für dich ein Provisorium oder ist das eine Unterstützung, die aus dem Herzen schnell eine Lösung findet? Weil überall, wo wir das Thema spielen und die Lego-Oma ins Spiel bringen, sind die Leute begeistert und sagen: Gott sei Dank, macht mal einer was. Ich habe neulich mal den Antrag einer Rampe mitbekommen – was da baurechtlich alles zu beachten ist. Und da bin ich schon verzweifelt, da hätte ich am liebsten schon aufgehört. Ist die Lego-Oma ein gangbarer Weg – in Anführungsstrichen – also nicht die Dame in Person?

    Ulrike Hase-Müllneisen: Also ich finde, die Lego-Oma ist gangbar. Man muss sich aber klarmachen, wenn du jetzt diesen Antrag auf eine Rampe mitbekommen hast – man redet ja immer von 6% Steigung. Ich habe selbst in Luxemburg vor einer Bäckerei so eine Lego-Oma-Rampe gesehen, die auch gut funktioniert hat. Also ich würde das nicht als Provisorium sehen. Aber was die eben häufig hat, ist, dass die mehr als 6% hat. Das kann eben dann ein Problem sein und dass auch die Menschen das deshalb nur als Provisorium sehen.

    Frank Rehme: Jetzt für unsere Hörerinnen und Hörer, die dieses Konzept nicht kennen, vielleicht eine kurze Erklärung, wobei es darum geht bei der Lego-Oma.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, die Lego-Oma ist eine Dame, die selber im Rollstuhl sitzt und die sich geärgert hat, warum sie in die meisten Geschäfte nicht reinkommt. Sind ja manchmal nur – in Anführungsstrichen – klitzekleine Hürden. 

    Frank Rehme: Und die hat gesagt: Da muss was gehen und hat aus Lego von ihren Enkelkindern eine Rampe gebaut und bauen lassen. Und aus diesem Ansatz, aus diesem Impuls heraus ist, glaube ich, mittlerweile eine deutschlandweite oder auch luxemburgweite Bewegung geworden. Sie verschickt Baupläne, sie verschickt How-To-Skizzen, die zeigen wie man sowas bauen kann. Und überall, wo wir sehen, dass ein Laden eine Barriere hat, empfehlen wir die Lego-Oma. Und sie freut sich, dass sie wieder Bauanleitungen verschickt, Legosteine in die ganze Welt verschiebt. Und so vielen Menschen das Leben deutlich einfacher macht.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, man sieht, dass manche Leute dann auch schnell zur Selbsthilfe kommen, was ja allerdings nicht nötig sein sollte.

    Frank Rehme: Nicht nötig sein sollte, gebe ich dir recht, aber ich glaube, wir müssen uns selber helfen, weil wir können auf die Politik und auf Fördermittel warten, bis wir schwarz werden. Wir müssen das Heft des Handelns selber in die Hand nehmen und ich glaube, deswegen gibt es uns auch noch, weil die Leute erkennen, wir schaffen die Herausforderung, sei es jetzt Barrierefreiheit, sei es neue Formen des Handels, sei es der Grund, warum ich in Zukunft noch in die Innenstadt gehe, nur gemeinsam. Das ist unser Prinzip und deswegen gibt es uns auch noch fünf Jahre, obwohl viele Leute gesagt haben, ja, ihr werdet euch ein Jahr im Markt halten und dann seid ihr wieder weg. Es gibt so viel zu tun, ich kann immer nur an die Menschen vor den Radios appellieren. Unterstützt das Tun, guckt, wie ihr euch einbringen könnt. Wir schaffen es nur zusammen in Zusammenarbeit. 

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ja, das ist völlig richtig, ja.

    Frank Rehme: Um jetzt mal zu so einem kleinen Abschluss zu kommen. Deine Empfehlung jetzt, Ulrike: Wenn man jetzt irgendwo anfängt, nicht nur ein Gebäude zu planen, sondern auch so ein Volksfest zu planen und solche Geschichten. Was ist die ideale Vorgehensweise, um immer an die Menschen mitzudenken, die es verdient haben?

    Ulrike Hase-Müllneisen: Wie gesagt, man muss sensibilisiert sein und was eben wichtig ist, ist, dass die Menschen einen Eingang haben, also einen barrierefreien Eingang zu einem Volksfest.

    Frank Rehme: Und was ich auch ganz wichtig finde, ist ein barrierefreies WC. Also, weil es hat alles überhaupt keinen Sinn, wenn ich als mobil eingeschränkter Mensch in so ein tolles Café gehe, aber wenn ich das dann hinterher nicht wegbringen kann.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Und was man natürlich auch machen müsste, gerade wenn du von Volksfest redest, also der eine oder andere Stand müsste irgendwie seine Theke tiefer legen können, damit jemand auch, keine Ahnung, da gibt es ja so Schießbuden, also sowas zum Beispiel mitmachen kann. Oder eben zum Beispiel ein Bierstand, wo eben jemand Auge in Auge ein Bier bestellen kann. Also das habe ich schon häufig erlebt. Diese Bierstände haben eine bestimmte Höhe und dann stehen die da, können noch nicht mal über diesen Tresen gucken und dann muss schon jemand sagen: Hier ist jemand, der möchte gerne ein Bier bestellen oder eine Bockwurst oder sowas.

    Darauf sollte man schon achten. Also es muss jetzt ja nicht der ganze Stand sein, aber ein Stück wenigstens, wo jemand ranfahren kann und gesehen wird.

    Frank Rehme: Also das sind zwei Themen, die du mir von Herzen nimmst eigentlich, weil sich auf Augenhöhe zu begegnen, halte ich für extrem wichtig. Nicht von oben herab, das ist ja, glaube ich, ein großer Punkt. Und das Thema öffentliche Toiletten ist bei uns im Netzwerk sowieso ein Riesenthema. Corona hat uns schonungslos offenbart, dass wir das Thema öffentliche, zugängliche Toiletten massiv vernachlässigt haben. Wenn ich aber an die Festivals oder Konzerte oder Veranstaltungen denke, die ich bisher besucht habe, sehe ich immer nur Dixie-Klos im geistigen Auge, die in keinster Weise barrierefrei sind. Das sind wirklich zwei wichtige Punkte, die du angesprochen hast. Ich habe keine Ahnung, warum keiner meint, dass jemand, der mobil eingeschränkt ist, nicht auch Bock hat, auf ein Konzert zu gehen. Und auch diese Menschen tanzen ja. Also das ist ja wirklich toll, wenn man die mal beobachtet, wie die sich freuen, wenn die Musik hören und wie die in der Gruppe mit tanzen können.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Und was wir eben auch nicht vergessen dürfen, es sind eben nicht nur alte Menschen, die mobil eingeschränkt sind. Es werden ja immer jüngere über Sportverletzungen, über Verkehrsunfälle. Und die sollten natürlich am Leben teilnehmen.

    Frank Rehme: Wenn jetzt von unseren Hörerinnen und Hörern jemand sensibilisiert wurde und der sagt, Mensch, ich muss mich zu dem Thema noch mal genauer informieren, damit wir nicht immer die Experten von der Stadtverwaltung brauchen. Wo hat er oder sie eine Anlaufstelle, an die man sich wenden kann, wenn man mehr Informationen braucht oder sich selbst einfach weiterbilden möchte in dem Bereich? Also es gibt die Bundesstelle für Barrierefreiheit?

    Ulrike Hase-Müllneisen: Also es gibt eine Bundesfachstelle, da kann man sicherlich Informationen bekommen. Wobei man natürlich sagen muss, dass alle sich auf bestimmte DIN-Normen beziehen, wo eben drinsteht, wie es sein soll. Und ja, die muss man kaufen. Es gibt natürlich auch Fortbildungen, die teilweise kostenlos sind – auch von der Bundesfachstelle. Man kann zum Beispiel zum Deutschen Blindenverband gehen und sagen: Ich möchte doch gerne mal sehen, wie das ist, durch verschiedene Brillen zu gucken – wie jemand guckt mit Makuladegeneration oder einfach nur mit 50 Prozent. Also wenn man immer schlechtersichtig wird…wir tragen ja fast alle Brille. Also eigentlich sind wir alle sehbehindert.

    Stefan Müller-Schleipen: Und man kann sich jetzt bei den Stadtrettern informieren, weil wir werden uns des Themas jetzt annehmen. Wir werden auf der Webseite informieren und auch die angesprochenen Checklisten anbieten.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Ich werde mich heute noch auf die Suche machen und mal gucken, was ich finde.

    Frank Rehme: Unseren Kommunalvertreterinnen und Kommunalvertretern, aber auch allen, die sich da jetzt berufen fühlen, ein bisschen mit anzupacken, Infos und Ratschläge und Hinweise an die Hand zu geben.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Sehr schön. Ja, ich habe gerade mal hier parallel auch nochmal kurz gegoogelt. Also es gibt unter www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de genau diese Infos. Es gibt auch ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das am 28. Juni released wurde. Und da kann man sich natürlich dann auch dementsprechend dort informieren.

    Frank Rehme: Ja, spannendes Thema.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Das ist das Gesetz, aber wir müssen auch die digitale Barrierefreiheit beachten. Also es müssen jetzt ja auch alle Websites und, wie ich eben schon sagte, Ticketshops barrierefrei nutzbar sein.

    Frank Rehme: Ja, gut. Also Appell: Wir müssen dran denken.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Wir müssen das viel, viel mehr in den Mittelpunkt stellen.

    Frank Rehme: Stefan hat ja gerade gesagt, dass wir uns als Stadtretter auch mit dem Thema dann noch weiter beschäftigen. Ich danke für diesen Einblick und vor allen Dingen auch Ausblick, in welche Richtung es da weitergeht und sage: Bis zum nächsten Mal an unsere Hörerinnen und Hörer! Und an euch natürlich besten Dank für diese Zeit.

    Ulrike Hase-Müllneisen: Vielen Dank.

Outro: Die Stadtretter – Der Podcast