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Gabi Flatinger:
Hallo, Frank, und danke für das „hochinnovative“.
Frank Rehme: Ein paar Worte zu dir?
Gabi Flatinger: Ja, gerne. Ich führe zusammen mit meinen Schwestern und unseren Eltern ein Familienunternehmen. Wir sind ein klassisches Textileinzelhandelsunternehmen für Damenmode – deswegen brauchen wir auch einen Männerparkplatz.
Wir haben unseren Fokus darauf gelegt, die Kundin in den Vordergrund zu stellen. So ist auch das Kleiderzimmer, von dem du erzählt hast, entstanden. Das ist ein Konzept, bei dem unsere Kundinnen nach Ladenschluss mit Freundinnen kommen können und dieses Gefühl haben dürfen, alleine im Kaufhaus zu sein.
Mittlerweile haben wir fünf Filialen – ich hätte gerne noch mehr. Wir sind mit diesem Konzept sehr erfolgreich, auch mit unserer Beratung, weil unser Fokus wirklich auf der Kundin liegt. Wir können sehr gut beraten und würden das gerne noch mehr tun.
Doch dabei stoßen wir gerade auf ein Problem, weshalb ich dich dann angerufen habe.
⸻ Alte Regelungen als Wachstumsbremse
Frank Rehme: Genau. Und das Problem ist eigentlich auf Basis einer Regelung entstanden, die aus einer Zeit stammt, als das Internet noch nicht erfunden war. So muss man das wirklich sagen. Erzähl doch mal, worum es genau geht.
Gabi Flatinger: Ja, tatsächlich ist die Regelung aus der Zeit vor dem Internet – das ist schon lustig, wenn man sich das überlegt. Es gibt eine Vorschrift, die festlegt, wo in einem Ort ein Zentrum ist.
Damals wurden Flächen für sogenannte „innenstadtrelevante Sortimente“ festgeschrieben. Zum Beispiel in einem Gewerbegebiet gibt es eine bestimmte Anzahl Quadratmeter für Einzelhandel – und alles, was darüber hinausgeht, darf außerhalb dieses definierten Zentrums nicht eröffnen.
Wir würden also keine Genehmigung bekommen. Jetzt bin ich an einem Standort, an dem ich mich gerne vergrößern würde, weil wir Potenzial sehen – oder an Standorten, die wir neu eröffnen könnten. Dafür brauchen wir Flächen, die groß genug sind, um wirtschaftlich zu arbeiten.
Doch diese Regelung macht uns einen Strich durch die Rechnung. Verkaufsflächen werden vom Regierungspräsidium nicht genehmigt.
Stefan Müller-Schleipen: Da muss ich gleich eingrätschen – im positiven Sinne. Wir reden ja oft von Problemen, aber zuerst möchte ich euch ein Denkmal bauen. Ich finde das super!
Ich fordere seit Jahren das Bällebad für Männer in solchen Modegeschäften – vielleicht könnt ihr da ja noch einmal drüber nachdenken. Wenn ihr Frank begeistert habt, seid ihr schon wirklich weit. Jeder Mann kann das nachvollziehen: „Natürlich gehe ich mit“, sagst du – und hofft, dass es keine Katastrophe wird.
Aber wenn ihr eine Aufenthaltsqualität schafft, mit Büchern und gemütlicher Atmosphäre, dann habt ihr alles richtig gemacht.
Zum Zweiten: Ihr seid genau die Art von Handelsunternehmen, die wir verzweifelt suchen – neue Retailformen, innovative Konzepte, die expandieren, Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen. Eigentlich müsste man euch den roten Teppich ausrollen und sagen: „Kommt bitte in unsere Stadt!“
Ich bin ehrlich entsetzt, dass das Gegenteil passiert und man euch Steine in den Weg legt.
Gabi Flatinger: Ich muss an dieser Stelle eine Lanze brechen für die örtlichen Behörden. Die Gemeinden selbst würden uns nämlich gerne Flächen zur Verfügung stellen – sie können nur nicht, weil ihnen durch diese Regelung die Hände gebunden sind.
Es geht über das Regierungspräsidium, und dort ist diese Vorschrift verbindlich. Egal, was wir tun – bisher haben wir keine Chance, da etwas zu ändern oder größere Flächen zu bekommen.
Das Tragische ist: Die Gemeinden wollen uns ja! Sie möchten, dass wir kommen, dass wir Steuern zahlen und lokale Wirtschaft fördern. Aber sie dürfen nicht.
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Veraltete Regeln in modernen Strukturen
Frank Rehme: Das ist wirklich verrückt. Ich verstehe, warum diese Gesetze damals entstanden sind. In den 80ern wollte man die Innenstädte schützen, damit sie nicht durch Fachmarktzentren auf der grünen Wiese ausbluten.
Aber heute wissen wir aus der Studie Vitale Innenstädte, dass Handel längst nicht mehr der Hauptgrund für einen Innenstadtbesuch ist. Bildung, Gastronomie, Erlebnis und Kultur sind inzwischen viel wichtigere Besuchsanlässe.
Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Diese alten Regeln, die einst sinnvoll waren, wirken heute kontraproduktiv – sie behindern die Entwicklung der Innenstädte und bremsen Händler aus, die eigentlich wachsen wollen.
Gabi Flatinger: Ja, absolut. Für große Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern mag das alles noch Sinn ergeben. Aber in kleineren Gemeinden verhindert diese Regelung wirtschaftliche Entwicklung – und damit Einnahmen.
Gerade jetzt, wo viele Kommunen finanziell angespannt sind, ist das fatal. Ich frage mich oft: Wie präsent ist dieses Thema überhaupt in den Köpfen derjenigen, die etwas ändern könnten?
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Bürokratie statt Ermessensspielraum
Frank Rehme: Stefan, wer müsste denn eigentlich aktiv werden, damit so etwas geändert wird?
Stefan Müller-Schleipen: Die Standardantwort wäre: „Die Politik.“ Aber das ist genau das Problem. Alle wollen Bürokratie abbauen, doch das Gegenteil passiert.
Wir haben in Deutschland viele Regelungen, die auf Grundlagen aus den 70er- und 80er-Jahren beruhen. Auch in der Baupolitik erleben wir das ständig.
Früher gab es in solchen Verfahren mehr Ermessensspielraum. Da hat jemand gesagt: „Wir machen das jetzt, weil es sinnvoll ist.“ Heute versteckt man sich hinter Paragraphen, weil man Angst vor Konsequenzen hat oder weil alles öffentlich nachvollziehbar ist.
Ich glaube, der richtige Weg ist, das Thema öffentlich zu machen – genau wie ihr es jetzt tut – und dann mit den zuständigen Institutionen in den Dialog zu gehen.
Wir brauchen Lösungen. Ich kenne in diesem Bereich noch keine konkrete Aufweichung, aber das Thema ist zu spannend, um es liegen zu lassen. Ich nehme das mit ins Stadtretter-Netzwerk. Wir suchen die relevanten Personen mit Know-how und Expertise und bringen sie zusammen.
Vielleicht machen wir auch einen Web-Talk dazu, um das Thema breit zu diskutieren.
Gabi Flatinger: Ich bin da sofort dabei! Ich werde auch in meinem Netzwerk nachfragen, ob es Kolleginnen und Kollegen gibt, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
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Wenn Regeln Innovation verhindern
Frank Rehme: Das zeigt ja Folgendes: Wir haben hier ein Unternehmen mit einem innovativen Konzept und Expansionspotenzial – und trotzdem wird es durch alte Vorschriften blockiert. Das grenzt ja fast an eine Einschränkung der Berufsfreiheit.
Stefan Müller-Schleipen: Ja, und es betrifft auch das Gemeinwohl. Ihr wollt expandieren, Umsatz und Arbeitsplätze schaffen – und damit auch mehr Steuern zahlen.
Das IFH Köln hat berechnet, dass ein leerstehendes Ladenlokal von 100 Quadratmetern eine Kommune jährlich rund 12.500 Euro kostet – allein durch entgangene Steuern und Folgekosten.
Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, wegen Papierregelungen aus den 80ern solche Chancen ungenutzt zu lassen.
Gabi Flatinger: Ganz genau. Ich wünsche mir nichts mehr, als an jedem Standort möglichst viel Gewerbesteuer zu zahlen. Doch wenn ich mit Menschen spreche, die das Problem gar nicht verstehen, höre ich oft nur: „Dann nimm halt eine andere Fläche in der Innenstadt.“
Aber das geht eben nicht. Ich brauche bestimmte Rahmenbedingungen – Parkplätze, Fläche, Lage. Ohne die kann ich kein Geschäft betreiben.
⸻ Absurde Beispiele und nächste Schritte
Stefan Müller-Schleipen: Ich kenne ein Beispiel aus dem Lebensmittelhandel, das zeigt, wie absurd das Ganze ist: Ein Discounter wollte innerhalb seines Gebäudes die Verkaufsfläche um 200 Quadratmeter vergrößern – einfach, indem eine Wand verschoben wird. Die Immobilie blieb gleich, nur das Verhältnis zwischen Lager und Verkaufsfläche änderte sich. Ergebnis: nicht genehmigt.
600 Quadratmeter erlaubt, 800 verboten.
Gabi Flatinger: Wahnsinn.
Frank Rehme: Das ist wirklich absurd. Wie geht es jetzt weiter? Vielleicht müsste man mit einem Juristen sprechen, der sich im Planungsrecht auskennt, um die rechtlichen Hintergründe besser zu verstehen.
Stefan Müller-Schleipen: Da kann ich euch beruhigen – ihr sprecht ja mit den Stadtrettern. Wir sind ein Netzwerk, das solche Themen angeht. Ich werde die relevanten Experten zusammentrommeln und dieses Thema wirklich vorantreiben.
Ich möchte nicht, dass wieder nur darüber gesprochen wird. Wir werden aktiv – und das öffentlich.
Ich plane, dazu einen Web-Talk bei den Stadtrettern zu veranstalten. Ich bin mir sicher, dass viele Händler ähnliche Probleme haben.
Gabi Flatinger: Ich bin auf jeden Fall dabei und unterstütze, wo ich kann. Vielleicht finden sich noch mehr, die betroffen sind und ihre Erfahrungen teilen möchten – auch aus anderen Regionen.
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Aufruf an die Hörerinnen und Hörer
Frank Rehme:Vielleicht gibt es ja auch unter unseren Zuhörerinnen und Zuhörern Menschen, die ähnliche Probleme erlebt oder sogar schon gelöst haben. Meldet euch gerne bei uns – am besten über unsere Website die-stadtretter.de oder per Mail an info@die-stadtretter.de.
Wenn ihr Ideen, Vorschläge oder Expertise habt: immer her damit. Das Thema ist zu wichtig, um es liegen zu lassen.
Stefan Müller-Schleipen: Genau. Wir planen dazu etwas Größeres und hoffen, dass wir auch die richtigen politischen Entscheidungsträger mit in den Austausch bekommen.
Frank Rehme: So viel mal dazu. Vielen Dank euch beiden – und an alle Hörerinnen und Hörer: Wenn ihr etwas zu dem Thema beitragen möchtet, meldet euch gerne bei uns.
Gabi Flatinger: Vielen Dank, Frank. Vielen Dank, Stefan.
Frank Rehme: Vielen Dank!
Outro: Die Stadtretter – Der Podcast