Brandbeschleuniger Corona

Wie resistent ist die Shopping-Center-Branche? Symptome lindern reicht nicht!

In der Shopping-Center-Branche war es schon seit geraumer Zeit fünf vor zwölf. Mit der Corona-Krise springt der Zeiger jetzt um. Während die Center mit allen Grundversorgern im Notbetrieb laufen, kämpfen viele ihrer Kernmieter aus dem Fashion Retail ums Überleben. Droht im wahrsten Sinne des Wortes die Geisterstunde? Leere Läden, leere Malls, leere Innenstädte – bleibt der Spuk auch, wenn die Welt irgendwann wieder zum normalen Leben zurückkehrt? Man darf es nicht falsch einsortieren: Für den Flächenbrand im stationären Einzelhandel ist Corona nicht Brandstifter, sondern lediglich Brandbeschleuniger. So unvorhersehbar diese Krise auch war, auf so fruchtbaren Boden trifft sie in einer angeschlagenen Branche, die sich seit Jahren schwer tut, Rezepte für die Veränderungen im Einkaufs- und Freizeitverhalten der Menschen zu finden.

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Brandbeschleuniger Corona

Die Shopping-Center sind Risikogruppe, Corona boostet alle Trends, die sie seit Jahren schon vor Herausforderungen stellen, vor allem Online-Handel, Digitalisierung und Konsumverzicht. Doch selbst wenn man die allgegenwärtige Online-Offline-Diskussion mal außer Betrachtung lässt, sind sie Corona-Patienten mit ernstzunehmenden Vorerkrankungen.

  • Vorerkrankung 1: Nutzungs- und Mietermix

    Das Retailangebot in den Centern ist voll durchfilialisiert und wird dominiert von mittelgenrigen Mode-Anbietern. Viele dieser großen Mainstream Fashion Filialisten sind schwach profiliert und rutschen nach jahrelangem Straucheln jetzt akut in Insolvenz- oder Schutzschirmverfahren, die manchen von ihnen ohnehin bevorgestanden hätten, aber wahrscheinlich noch nicht ganz so schnell wie mit den jetzt gesetzlich angeordneten Ladenschließungen. Je länger die Regierung versucht, das Virus in der Bevölkerung einzudämmen, desto größer wird seine Todesquote im stationären Handel. Am Ende aber nicht nur da. Zalando’s aktuelle Entwicklung zeigt: Schwach profilierte Marken online verkaufen funktioniert eben auch nicht mehr.

    Angebote brauchen Unterscheidungskraft, da sind Mietermixe keine Ausnahme. Der Handlungsbedarf wird noch größer, wenn man den Horizont mal über den reinen Einzelhandel hinaus erweitert. Kaum ein Center verfügt heute über einen nennenswerten Anteil an Non-Retail-Nutzungen, Gastronomie mal ausgenommen. Flächen umzuwidmen ist nicht leicht, keine andere Nutzung verspricht ähnliche Mieten. Und die Eigentümerlandschaft ist oft eher konservativ und erst dann experimentierfreudig, wenn das Kind im Brunnen, der Objektwertverlust schon nicht mehr abwendbar ist.

    Es muss aber Raum für Experimente geben, wenn die Flächennachfrage im Einzelhandel weiter nachgibt. Vielleicht tut sie das in anderen Nutzungen nach Corona auch. Im Moment scheint es schwer vorstellbar, dass beispielsweise die Nachfrage nach Büro- und Co-Working-Spaces weiter wächst, wenn die Wirtschaft feststellt, dass der großflächige Home Office-Versuch erfolgreich ist. Mixed-Use ist das große Schlagwort, gelungene Beispiele gibt es aber eigentlich nicht. Eine Vermischung der Nutzungen erst recht nicht. Selbst dort, wo relativ viele Non-Retail-Nutzungen existieren, wie etwa im CentrO, muss man eher vom Either/Or-Use sprechen als vom Mixed-Use.

  • Vorerkrankung 2: Erlebnis-, Aufenthalts- und Designqualität

    Die Relevanz der Shopping Center liegt in der Qualität der Orte. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Aufenthaltsqualität, im Erlebnis. Das war schon immer so und dennoch haben die Center gerade hier einen riesigen Aufholbedarf. Der beginnt schon bei der Einbindung in die städtischen Umfelder und der Öffnung der Center nach außen, die viel zu oft vernachlässigt wurden. Viel zu selten sind sie natürlich integriert, zu oft geschlossene Monolithen am Innenstadtrand, mit großen, sichtbaren, aber eintönigen Fassaden. Konkurrierend, nicht komplementierend. Geduldet, nicht geliebt.

    Doch auch im Inneren regiert mehr und mehr die Öde. Ertragsgetrieben flächenoptimiert fehlt vielen Objekten das Raumerleben und die großen Ideen im Interior Design kann man in den Neueröffnungen und Revitalisierungen der letzten Jahre auch nicht mehr entdecken. Die überholten Begrünungen und Brunnen aus den Neunzigern sind weitestgehend ausgebaut worden, aber ersetzt wurden sie im besten Fall durch identitätsloses, gefälliges Retaildesign. Wohlfühlatmosphäre, Verweilqualität oder gar immersive Installationen, überraschende, atemberaubende Räume gibt es nicht mehr. In den Neunzigern war das Shopping-Center etwas Besonderes, heute ist es Normalität. Das ist okay, da kann man nichts gegen sagen. Was man aber kritisieren kann, ist dass es nicht mehr versucht, etwas Besonderes zu sein.

  • Vorerkrankung 3: Kraftlose Profile und fehlende Markenstärke

    Kennst Du eins, kennst Du alle. Je mehr Shopping Center es gibt, desto mehr trifft diese ehemals leere Floskel leider zu. Mit dem Marktwachstum ist keine zunehmende Differenzierung einhergegangen. Ganz im Gegenteil: Mietermix, Interior Design, Serviceleistungen, Kommunikation – alles ist austauschbar geworden. Ein Shopping Center ist ein Shopping Center ist ein Shopping Center. Die wenigsten haben eine erkennbare Verbindung zum Ort an dem sie sich befinden. Wo gibt es noch eine signifikante Anzahl regionaler Mieter? Wo gibt es sichtbare Reminiszenzen an die regionale Architektur? Welches Center ließe sich nicht 1:1 in eine andere Stadt versetzen?

    Wie will man mit diesen Voraussetzungen erfolgreich „Placemaking“ betreiben, wie es in der Branche neuerdings postuliert wird? „Spaces“ zu „Places“ zu machen, klingt gut, ist aber kein Akt reiner Kommunikation. Es setzt voraus, dass das Produkt soweit in Ordnung gebracht wird, dass es als eigenständiger, unverwechselbarer Ort positioniert werden kann. Aber Shopping Center sind heute im seltensten Fall in irgendeiner Form positioniert. Sie werden Hilfe brauchen, um sich aus dem puren Mainstream heraus klar zu profilieren und damit überhaupt erst die Grundlage für ein dauerhaftes Placemaking zu legen, das sich nicht in der Durchführung von Modepräsentationen und Wildtierausstellungen erschöpft.

Fazit: Die Center gehen angeschlagen in die Corona-Zeit. Und sie werden noch schwerer angeschlagen wieder rausgehen. Die großen reinrassigen Shopping-Ikonen wie CentrO, AEZ, oder MTZ, die Top 50 in Deutschland vielleicht, sie werden sich schütteln und einigermaßen schnell wieder funktionieren, aber wie sieht es mit den anderen 450 Standorten aus? Die aktuellen Bemühungen gehen natürlich dahin, möglichst viele Retailer am Leben zu halten. Die gemeinsamen Interessen von Händlern und Vermietern manifestieren sich in einer engen Zusammenarbeit von HDE, GCSP und ZIA und einem jüngst verabschiedeten Code of Conduct. Das sind zumindest gute Initiativen zur Behandlung der akuten Symptome.

Aber wie geht es denn überhaupt weiter, wenn es endlich weitergeht? Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die Wiedereröffnung der Läden mit einer einzigartigen Rabattschlacht offline wie online einhergehen wird. Die Antwort des Handels auf volle Läger waren immer schon Preissenkungen. Und natürlich wird es auch einen gewissen Nachholbedarf geben, die Lust wieder raus zu gehen, die Lust wieder shoppen zu gehen. Aber es steht zu befürchten, dass der Lockdown nachhaltige Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Menschen haben wird. Kommen wir nicht eigentlich ganz gut damit klar, weniger zu kaufen? Werden wir das künftig noch bewusster tun und uns noch klarer auf die Pole Qualität und Preis fokussieren? Und vor allem nachhaltiger shoppen? Und werden wir – um zu den Shopping-Centern zurückzukehren – an die Orte, an denen wir einkaufen, nicht viel höhere Maßstäbe anlegen, wenn wir uns daran gewöhnt haben, das alles, was wir wirklich brauchen, im Supermarkt erhältlich ist oder per Paketbote kommt?

Jede Krise hat auch Chancen. Für die Shopping Center liegt sie darin, ihre Vorerkrankungen zu heilen. Die Möglichkeit besteht, auch wenn das bedeutet, dass kurzfristig Investitionen ausgelöst werden müssen, die sich im besten Fall mittel-, realistisch eher erst langfristig amortisieren werden. Da das NOI durch Mietausfälle für 2020 aber in vielen Objekten ohnehin negativ sein wird und die Perspektiven ohne Investment noch negativer und die Objekte damit immer schwerer verkäuflich werden, ist das langfristige Engagement für viele Eigentümer möglicherweise eine attraktive Alternative zum Hübsch-machen-und-abstoßen. Nicht die schlechteste Marktentwicklung im Übrigen.

Um also nach der Corona-Krise eine begehrliche Immobilie zu haben, die Menschen besuchen wollen, in der Mieter Flächen belegen wollen, die Investoren erwerben möchten, braucht es:

  1. Ein klares Profil, das das Objekt gegenüber Wettbewerbern differenziert und eine eigenständige Identität, die sich aus den Gegebenheiten des Ortes ableitet. Eine Brandstory und Positionierung, die es unverwechselbar macht, regional tief verwurzelt und die Leitlinien vorgibt für einen
  2. Nutzungs- und Mietermix, der die Bedürfnisse der Kunden im Einzugsgebiet aufnimmt und ggf. auch großen Raum lässt für identitätsprägende, individuelle und experimentelle, retailfremde Nutzungen, die unter Mietgesichtspunkten ggf. auch unattraktiv sind. Es wird beispielsweise nicht gelingen, signifikante Entertainmentanteile im Sortiment anzusiedeln, wenn man nicht bereit ist, attraktive Flächen für Mieten abzugeben, die unter denen liegen, die filialisierte Händler bereit wären zu zahlen. Die dauerhafte Profilierung muss Vorrang haben vor der kurzfristigen Mietmaximierung. Im Fokus der Betrachtung muss die langfristige Sicherung des Objektwertes sein. Es muss für Mieter und Investoren dauerhaft am Markt begehrlich bleiben.
  3. Auch das Interior Design muss sich letztlich aus der Brandstory ableiten und die Aufenthaltsqualität und Erlebnisqualität maximieren. Alle Freizeitangebote werden alle Hebel in Bewegung setzen, uns mehrwöchige Couch Potatoes wieder anzulocken und wir alle werden unsere Zeit sehr selektiv an Orten verbringen wollen, die uns begeistern, inspirieren, faszinieren. Das Interior Design der Center muss auf ein komplett anderes Niveau gehoben werden und Maßstäbe setzen im Wettbewerb zu Freizeitparks, Hotels, Kinos, Parks und all den anderen Wettbewerb im New Leisure.
  4. Zu guter Letzt wird es ein Placemaking brauchen, das die einzigartigen Orte auch als solche kommunikativ platziert. Das etablierte Marketing-Standards wieder verlässt und die Unverwechselbarkeit jedes einzelnen Ortes herausstellt.

Man darf sich nicht täuschen: Wenn das Land und die Wirtschaft aus der Quarantäne entlassen wird, beginnt für die Shopping Center nach einer ersten Erleichterung der eigentliche Existenzkampf. Wohl dem, der nicht nur die akuten Symptome lindert und Budgets für krisenbedingte Mietausfälle einstellt, sondern sich jetzt auf die eigentlichen Ursachen konzentriert und bereit ist, radikal neu zu denken und seine Immobilien mit den notwendigen Mitteln in langfristig marktfähige Objekte zu entwickeln.

Brandbeschleuniger Corona

Über den Autor:

Mathias Sander, 48, blickt auf 25 Jahre Erfahrung in der Shopping Center Branche zurück. Als Director Center Marketing verantwortete er bei der ECE mehrere Jahre zentralseitig das B2C-Marketing der Shopping Center und begründete und leitete die Mallvermarktung, die er zu einem profitablen Geschäftsfeld ausbaute.

Seit 2018 begleitet er für dan pearlman verschiedene Shopping Center in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei Repositionierungen und Umstrukturierungen.

Die dan pearlman Group berät als strategischer Kreativpartner neben Shopping Centern und Retailern  u.a. auch Freizeit- und Entertainmentparks oder Zoos bei Neuausrichtungen. Die Kompetenzen in der Entwicklung und Gestaltung von Orten bündeln sich im Geschäftsfeld Destination Development, in das außerdem diverse Mixed-Use-Entwicklungen mit den unterschiedlichsten Nutzungsschwerpunkten fallen.

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